Bist du schnell genervt? Macht dein Nachbar mit seiner Missgunst dein Leben schwer? Deine Kollegin hat einfach keine Ahnung? Deine Schwiegermutter kann dich nicht leiden und zeigt es dir bei jeder Gelegenheit? Und warum verliebst du dich immer wieder in Vollidioten? Bringen dich schreiende Kinder auf die Palme? Und wie reagierst du, wenn du auf der Autobahn bedrängt wirst? Wirst du wütend? Ungerecht? Würdest du manchmal am liebsten …?

Alles nicht gerade angenehm, oder? Klar – aber all das steckt in dir. Wie bitte? Das soll mit dir zu tun haben? Doch, genau das! Denn das, was dich im Außen aufregt, hat seine Wurzeln in deinem Inneren. Es sind deine Schatten, die dich begleiten – genauso wie dein Licht. Je besser du sie kennst, desto freier wirst du, desto mehr kannst du in deine eigene Kraft kommen.

Schattenarbeit bedeutet, die verdrängten Anteile unserer Persönlichkeit anzusehen – jene Seiten, die wir als negativ bewerten und deshalb aus unserem Selbstbild verbannen. Denn wer will schon seine Schattenseiten zeigen? Lieber sehen wir sie in anderen. Und doch schleppen wir sie überall mit uns herum.

Und genau hier liegt eine große Chance: Wenn wir es schaffen, unsere Schatten zu erkennen und anzunehmen, beginnen wir, uns selbst besser zu verstehen. Wir wachsen, lösen alte Feindbilder auf und finden Frieden – in uns und mit anderen. Aber das gelingt nur, wenn wir bereit sind, die Reise durch unsere inneren Nachtmeere anzutreten und unseren eigenen Drachen ins Auge zu blicken.

Eine wunderbare Möglichkeit, sich den Schatten zu nähern, sind Märchen. Sie haben seit jeher eine heilende Kraft. Geschichten verbinden uns mit uns selbst, mit anderen, mit unserer Kultur. Sie spiegeln menschliche Erfahrungen und Gefühle wider, zeigen uns, dass wir nicht allein sind, und geben uns Orientierung in herausfordernden Zeiten.

In vielen Kulturen werden Märchen als Heilmittel genutzt. Indigene Gemeinschaften verarbeiten Traumata durch Erzählungen und stärken so den Zusammenhalt. Die Navajo etwa erzählen in ihren Heilungsritualen die Geschichten ihrer Ahnen, um Balance und Harmonie wiederherzustellen. Solche Erzählungen verknüpfen Vergangenheit und Gegenwart, stiften Identität und spenden Hoffnung.

Auch unsere Märchen tragen diese Kraft. In »Die Sterntaler« verschenkt ein armes Waisenmädchen alles, was es besitzt – und wird dafür vom Himmel belohnt. Eine Geschichte, die zeigt: Selbstlosigkeit und Mitgefühl können auch in schwierigen Zeiten Halt und Erfüllung schenken.

Dasselbe Prinzip finden wir in den Heldenreisen, die überall auf der Welt erzählt werden – ob in den griechischen Mythen oder in den epischen Erzählungen der Maori. Der Held oder die Heldin bricht auf, stellt sich Gefahren, wächst an seinen Herausforderungen und kehrt gestärkt zurück. Diese Geschichten lehren uns: Krisen lassen uns wachsen. Und selbst in den dunkelsten Momenten können lichtvolle Gedanken einen Weg eröffnen.

Geschichten geben uns Trost und Sinn. Sie helfen uns, das Unkontrollierbare greifbar zu machen. Ob in einem Ritual der Navajo, in einem alten Märchen oder in epischen Heldensagen – Geschichten verbinden. Mit uns selbst, mit anderen. Sie schenken Mut, geben Orientierung und öffnen Wege zur Heilung.

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