Begriffe wie „auffälliges Verhalten“ und „Entwicklungsstörungen“ sind hochemotional besetzt und beschreiben Sachverhalte, die frühpädagogisches Arbeiten sowohl belasten als auch häufig kontrovers diskutiert werden. Beide Begriffe setzen „normales Verhalten“ als Bezugspunkt voraus, also eine Norm, die oft identisch ist mit gesellschaftlichen Strömungen und Erwartungen.
Das bedeutet: Eine Störung ist keine Störung, wenn niemand sich gestört fühlt und eine Auffälligkeit muss jemandem auffallen. Ein sehr selbstbewusstes, quirliges, lustiges, kreatives und lebhaftes Kind ist, wenn es Pech hat und durch wenig wohlwollende Augen betrachtet wird, auch schnell mal ein „ADHS-Kind“.
Auffälligkeiten und Störungen liegen oft im Auge des Betrachters. Fachkräfte wissen: Ohne eine genaue Beobachtung ist individuelle Pädagogik nicht machbar. Beobachtungen wiederum sind Beobachtungsfehlern unterworfen und müssen zwingend durch professionellen Austausch mit Kolleg*innen, Eltern, Fachdiensten objektiviert werden. Standardisierte Beobachtungen alleibe genügen nicht, sie sind notwendig, aber hinreichend sind sie nicht. Um einem Kind wirklich gerecht zu werden muss zwingend die gesamte Lebenswelt eines Kindes in die Beobachtungen miteinbezogen werden. Ohne die Berücksichtigung des kompletten Lebens und der bisherigen Entwicklung des Kindes und seiner Familie sind Diagnosen, besonders pfeilschnell getroffene Modediagnosen unverantwortlich und schaden dem Kind langfristig.
Verhaltensauffälligkeiten haben immer verschiedene Ursachen und es sind viele Faktoren an der Entstehung von „Störungen“ beteiligt. Organische Faktoren, ungelöste Konflikte, Bedrohungen und Belastungen können eine gesunde Entwicklung gefährden. Hinzu kommen Einflüsse der Familie, der Kita, der Medien und nicht zuletzt die Persönlichkeit des Kindes. Störungen des Verhaltens sollten immer als Signal, als Nachricht und als Lösungsversuch des Kindes betrachtet werden, bei dem unbedingt das Verhalten aller Interaktionspartner mit einbezogen werden muss.
Beispiel: Isst ein Kind in der Kita nichts, zuhause isst das Kind aber „normal“, dann wäre es klug die Interaktionen, Angebote usw. in der Kita näher zu beleuchten, das Kind zeigt mit seinem Verhalten sehr klar, dass irgendetwas in der Kita nicht passt und es sich nicht wohlfühlt. Die Essensverweigerung bedeutet in den meisten Fälle, das Kind möchte nicht (noch) mehr von dem „was nicht passt“ in sich aufnehmen und verweigert durch die Nahrungsverweigerung.
Entwicklung ist störanfällig und von Risiken begleitet, so können Problemschwangerschaften, Geburtstraumata, Schlafmangel, mangelhafte Ernährung, Unter- oder Überforderung, Reizüberflutung, fehlende soziale Orientierung, ungünstiges Erziehungsverhalten, Unter- oder Überforderung, Reizarmut, Reizüberflutung, Überfürsorge, Leistungsüberforderung, fehlende soziale Orientierung, unstetes Erziehungsverhalten, chronische Konflikte der Eltern, Misshandlungen, Beschämungen durch PädagogInnen das Verhalten von Kindern modifizieren und eine gesunde Entwicklung verhindern.
Beispiele: Ein vierjähriges Kind, das kein Dreirad zur Verfügung hat, kann auch nicht Dreirad fahren lernen; Ein Kind mit dem niemand Regelspiele spielt, lernt die Einhaltung von Spielregeln nicht usw. – logisch, nicht?
Haben Kinder in ihren Lebensumwelten keine Gelegenheiten, unpassende Angebote, unzureichende Materialen und fühlen sie sich nicht geliebt, nicht wertgeschätzt und nicht wohl – kurz: Leben Kinder in ungeeigneten Lernumgebungen, dann können sie sich nicht gemäß ihrem angelegten Potential entwickeln und entfalten. Je ungünstiger die Lernumgebung ist, desto wahrscheinlicher werden Verhaltensauffälligkeiten und desto gefährdeter ist die Entwicklung von Kindern.
Will man also in der Kita eine entwicklungsfördernde Lernumgebung gestalten, ist es unabdingbar, dass Partizipation als durchgängiges Prinzip gelebt wird. Das bedeutet: Kinder und Eltern sind willkommen und entwickeln gemeinsam mit den Fachkräften ein gelingendes und „ganz normales“ Zusammenleben.