Die Not mit den Noten

von | 5. April 2019

Ich erinnere mich sehr gut an meinen schulischen Hürdeneierlauf, es war eine grauenvolle und bedrückende Zeit und es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, was Lernen für mich bedeutet und wie viel Freude es macht. Meine Noten waren viele Jahre lang katastrophal und wurden durch demütigende Kommentare meiner Lehrer nicht besser – ganz im Gegenteil!

Langeweile, Über- und Unterforderung in der Schule waren schwer zu ertragen und Fragen, die mich damals beschäftigten, wollte und/oder konnte mir niemand beantworten. Ich habe mich geweigert zu lernen, was mich nicht interessierte und so entstanden Zeugnisse wie dieses – ein Spiegel meiner Interessen.

Heute weiß ich, Noten sind vollkommen desaströse Messverfahren, die nicht einem einzigen Gütekriterium entsprechen. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass sie nicht objektiv sind, denn verschiedene Lehrer benoten dieselben Klassenarbeiten unterschiedlich. Zudem spielt es eine Rolle, ob ein Lehrer ein Kind und seine Eltern mag, welchen Vornamen es hat, aus welcher gesellschaftlichen Schicht es kommt und sogar das Geschlecht hat Einfluss auf die Vergabe der Noten.

Noten sind nicht zuverlässig. Wenn ein Kind zwei Proben mit vergleichbaren Aufgaben schreibt, müssten die Ergebnisse gleich, zumindest ähnlich sein – das ist nicht der Fall. Noten sind auch nicht valide, sie messen nicht das, was sie messen sollen. Sie spiegeln nur kurzfristige Lerneffekte, sagen aber nichts über den tatsächlichen Wissensstand in einem Fach aus.

Alles, was sie können ist: Kinder aus einer Klasse zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt miteinander vergleichen. Sie können aussortieren und einteilen, doch dieses Einteilen und Sortieren ist zu oft zu ungerecht. Klüger wäre es, wenn Kinder zeitunabhängig die Möglichkeit hätten ihr Können zu zeigen.

Das wäre durchaus möglich – wenn auch mit Arbeit und Umdenken verbunden! Man müsste Tests anbieten bei denen Kinder, unabhängig von Zeitpunkt, Klasse und Bundesland, zeigen könnten, dass sie bestimmte Kompetenzen haben – ähnlich wie bei „genormten“ Sprachkenntnistests. Solche Ergebnisse hätten wesentlich mehr Aussagekraft und würden die individuellen Interessen und Fähigkeiten eines Menschen deutlich besser abbilden.

Heute kann ich lachen über ein Zeugnis, das mich vor über 30 Jahren viele bittere Tränen gekostet hat! Inzwischen habe ich aus der 6 in Latein ein Latinum gemacht, an der Uni habe ich ein Statistiktutorium gehalten und das mit einer 5 in Mathe. Ich lese Bücher von Steven Hawking und finde Geschichte sehr spannend. Okay – Sport ist noch immer „nur“ ausreichend und das reicht mir auch aus.

Wie gerne möchte ich manchen Lehrer*innen von damals freundlich lächelnd mit meiner Promotionsurkunde zuwinken und ihnen zeigen, dass Hopfen und Malz nicht im Ansatz verloren waren …