Die Umwelt der Kinder

von | 10. Februar 2019

Der Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung von Kindergartenkindern oder: Die Zusammenfassung der 300 Seiten meiner Doktorarbeit 🙂

Kindergartenpädagogik lässt sich durch verschiedene Merkmale charakterisieren: Zunächst ist das Spiel von herausragender Bedeutung. Durch das Spielen gewinnen Kinder körperliche Geschicklichkeit, entwickeln ihre organischen Fähigkeiten, Fantasie und schöpferische Kräfte. Weitere Punkte betreffen die Wichtigkeit von Vorbildern und das Existieren eines geregelten Tagesablaufs. Bedeutend sind zudem Nachahmung und Wiederholung als elementare Formen des Lernens in der frühen Kindheit.

Eine besonders wichtige Aufgabe von Fachkräften ist es, Kinder nicht nur zu unterhalten und zu verwahren, sondern die versteckten Kräfte und Potentiale im Kind zu entdecken und ganzheitlich zu fördern. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden braucht die Kita Unterstützung durch Eltern, Träger und nicht zuletzt durch Kommunen, weil alle zusammen einen bedeutenden Teil zur Umwelt für Kinder beitragen.

Die theoretischen Grundlagen der Arbeit

Schon Fröbel und Montessori stellen klar heraus, wie bedeutend eine ökologische Perspektive für den Erfolg in der Kindergartenpädagogik ist. Dabei stellt der Kindergarten selbst nur einen Teil der vielen Lebensumwelten des Kindes dar. Die einzelnen Bereiche – Kindergarten, Spielplätze, Familienleben, vorhandene Spielsachen etc. – stehen zueinander in Wechselwirkung und bilden ein komplexes Ganzes.

Zum Thema Einfluss der Umwelt existieren einige bedeutende entwicklungstheoretische Ansätze. So legte Piaget besonders viel Wert auf den Bereich der Kognition und prägte damit den sog. kognitivistischen Ansatz – aus dieser Perspektive ist das Kind Subjekt seiner Entwicklung in dem Sinne, dass es aktiv mit der Umwelt interagiert und so seine Entwicklung selbst vorantreibt – unabhängig von äußeren Belehrungen.

Vertreter des konstruktivistischen Ansatzes stammen aus den Bereichen der Entwicklungspsychologie und der Didaktik. Konstruktivismus meint dabei, dass das Kind sich Wissen und seine eigene Wirklichkeit aktiv konstruiert, indem es sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Lew Wygotski der bekannteste Verfechter einer konstruktivistischen Sichtweise, sieht das Kind in ständiger Interaktion mit seiner sozialen Umwelt, wobei er die Theorie der „Zone der nächsten Entwicklung“ aufstellt; eine Sichtweise, aus der das Kind durch Herausforderungen lernen kann, die ihm durch seine Umwelt – besonders durch die vorhandenen Bezugspersonen – gestellt werden können. Wygotski geht davon aus, dass die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes durch soziale Phänomene entstehen, also durch das Zusammenspiel mit anderen bedeutungsvollen Individuen. Das bedeutet für die Praxis: Lernen sollte eigenständig, aktiv und handlungsorientiert erfolgen, denn Lernen erfolgt als Schaffung individueller Wirklichkeit in Auseinandersetzung mit der Umwelt – dafür ist z. B. Projektarbeit besonders förderlich.

Die genannten Betrachtungsweisen vollziehen eine Kehrtwende, weg von der früheren Individuumszentrierung, hin zu einer umweltbezogenen ökologischen Perspektive. Damit verbunden ist die Konsequenz, dass eine ernst gemeinte Kindergartenpädagogik mit dem Anspruch kindlicher Förderung sich dessen bewusst werden muss, dass sie nicht im luftleeren Raum agiert, sondern dem Wechselspiel der kindlichen Lebenswelten Rechnung zu tragen hat. Dazu müssen zwingend alle am Leben des Kindes beteiligten Erwachsenen mit einbezogen und von den Fachkräften berücksichtigt werden. Das einzelne Kind lernt und entwickelt Kompetenzen besonders in der Interaktion mit seiner (sozialen) Umwelt, ein Umstand, der Fachkräfte mehr und mehr zum Gestalter dieser Umwelten im Sinne des Kindes macht.

In der Neurobiologie geht man davon aus, dass das Gehirn durch gemachte Erfahrungen und äußere Einflüsse geprägt wird – diese Erfahrungen und Einflüsse prägen das neuronale Netzwerk des Menschen in jeweils individueller Art und Weise. Damit erkennt die Neurobiologie in der Umwelt einen wesentlichen Faktor für das Lernen und die Entwicklung an. Generell scheint es so zu sein, dass sich genetische Einflüsse und Umwelteinflüsse einander bedingen. d.h. das Kind wählt diejenigen Umweltangebote aus, die mit den eigenen Genen korrespondieren.

Hinsichtlich der Bedeutung spezieller Entwicklungsumwelten geht die Entwicklungspsychologie davon aus, dass unterschiedliche Umwelten auch entsprechend spezifische Einflüsse ausüben können, z. B. die Familie, die Peergruppe, Gegebenheiten des Wohnortes, der sozioökonomische Status des Elternhauses, der Kindergarten etc., wobei der Familie als erste und lange Zeit wichtigste Umwelt die höchste Aufmerksamkeit der Forschung zu Teil wird.

Ein recht junger Forschungsansatz ist der, der Soziotope – ein Ansatz, der zunächst im Bereich der Begabungsforschung angesiedelt war, die Bedeutung von Umweltbedingungen für die Entwicklung und das Lernen im Allgemeinen aber ebenfalls betont. Es geht dabei um die Frage, wie soziale Ungleichheiten entstehen und durch welche unterschiedlichen Bedingungen diese manifestiert werden. Dabei unterscheidet man mehrere Kapitalarten, wie das ökonomische Kapital (materieller Besitz), das kulturelle Kapital (verinnerlichte Dispositionen, kulturelle Güter, Bildungsabschlüsse, etc.) und das soziales Kapital (Beziehungen, gesellschaftliche Verflechtungen, soziale Ressourcen). Besonders die verschiedenen Formen des Bildungskapitals, darunter wiederum ökonomisches, kulturelles, soziales, infrastrukturelles und didaktisches Bildungskapital, d.h. Know-how zur Optimierung von Lernprozessen ist im Lernsoziotop nach Ziegler von besonderer Bedeutung. Beispiel: Erbringt ein Kind hervorragende Leistungen, wird aber als Reaktion darauf von anderen Kindern und/oder Erwachsenen als „Streber“ betitelt kann dies negative Auswirkungen auf die Motivation und dadurch auf den Lernerfolg haben.

Die Untersuchung

In meiner Doktorarbeit habe ich den Einfluss unterschiedlicher Variablen des sozialen Umfeldes auf die allgemeine und kognitive Entwicklung von Kindern exemplarisch untersucht. Berücksichtigt wurden dabei der soziodemographische Hintergrund, der Kindergartenbesuch, die elterliche Zielorientierung und das vorhandene Spielzeug. Die allgemeine Entwicklung wurde anhand des BBK 3-6 (Beobachtungsbogen für 3- bis 6-jährige Kinder), die kognitive Entwicklung mittels des HAWIVA-III® (Hannover-Wechsler-Intelligenztest für das Vorschulalter-III) erfasst. Es wurden die Daten von insgesamt 203 Kindern erhoben, die Kinder der Stichprobe waren zur Zeit der Erhebung zwischen 3 und 6 Jahre alt. Bei der Studie handelt es sich um eine Kombination eines Querschnitts- und Längsschnittdesigns, das bedeutet, die relevanten Informationen wurden zu einem bzw. zu zwei Messzeitpunkten erhoben. Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der Untersuchung einen positiven Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die allgemeine Entwicklung, ein vergleichbarer Effekt auf die kognitive Entwicklung konnte, wider aller Erwartungen, nicht nachgewiesen werden. Das pädagogische Konzept des Kindergartens spielt eine untergeordnete Rolle, was allerdings an der großen Unterschiedlichkeit der einzelnen Konzepte liegen könnte. Insgesamt können die Ergebnisse der Studie als Beleg gegen die These des Maternalismus angeführt werden, der davon ausgeht, dass ein Kind optimalerweise von der Mutter betreut werden sollte – dies gilt offensichtlich nicht für Kinder im Alter von 3-6 Jahren.

In Schulleistungsstudien wie bspw. PISA hat sich gezeigt, dass der Schulerfolg oftmals stark vom soziodemographischen Hintergrund eines Kindes abhängig ist. So haben Kinder mit einem direkten oder indirekten Migrationshintergrund, von Elternteilen mit geringen Bildungsabschlüssen oder ungünstigen Berufssituationen deutlich schlechtere Chancen im Bildungssystem.

Einige Ergebnisse

Im Rahmen der Studie hat sich gezeigt, dass soziodemographische Variablen die kognitive und allgemeine Entwicklung nur zum Teil beeinflussen. Die Zusammenhänge sind deutlich weniger ausgeprägt als angenommen: So zeigen bspw. der Berufsstand der Eltern, der Erziehungsstatus (alleinerziehend oder gemeinsam erziehend) und der Migrationshintergrund keinen Einfluss auf die kognitive Entwicklung und kaum Einfluss auf die allgemeine Entwicklung. Eine Ausnahme ist der Schulabschluss Mutter – er wirkt sich auf nahezu alle Bereiche extrem positiv aus, man kann sagen, je höher der Schulabschluss der Mutter ist, desto besser entwickeln sich Kinder, sowohl im kognitiven Bereich, als auch in der allgemeinen Entwicklung.

Diese Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass ungleiche Bildungschancen z. B. nicht auf Unterschiede in den kindlichen Fähigkeiten zurückzuführen sind, sondern es sich hierbei eher um Effekte der Bildungsinstitutionen und der anderer Umwelten handelt, die erst in der weiteren Bildungslaufbahn, also z. B. ab dem Eintritt in die Kita, zum Tragen kommen. Zudem sind anhand der Ergebnisse auch Effekte institutioneller Diskriminierung denkbar, die bei gleichen Fähigkeiten zu geringeren Bildungschancen führen.

In Hinblick auf die Skalen elterlicher Zielorientierung lässt sich feststellen, dass insbesondere die Skalen Lernzielorientierung (=> Eltern ist es wichtig, dass ihre Kinder etwas lernen) und Performanzorientierung (=> Eltern sind ehrgeizig in Bezug auf die Leistungen ihrer Kinder) für die kognitive Entwicklung von Kindern ausschlaggebend zu sein scheinen. Das bedeutet für die Praxis: Eltern die viel von ihren Kindern verlangen und ihnen auch viel zutrauen sind förderlich für Kinder, denn die Haltung des Vertrauens und des Zutrauens wirkt sich förderlich auf die kindliche Entwicklung aus. Dementsprechend können Haushalte, in denen dies zutrifft, als „gute Lernsoziotope“ bezeichnet werden, im Rahmen derer die kindlichen Fähigkeiten optimal gefördert werden.

In Bezug auf die allgemeine kindliche Entwicklung haben sich insbesondere die Spielorientierung (=> Kind soll nur spielen und nicht individuell gefördert werden) und die Skala Angst vor Überforderung (=> Eltern wollen nicht, dass ihr Kind gefordert wird) als einflussreich erwiesen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl eine ausschließliche Spielorientierung als auch die Angst vor Überforderung Umwelteinflüsse darstellen, die hinderlich für die kindliche Entwicklung sind.

Fazit

In der Pädagogik wird der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung von Kindern diskutiert. Entwicklungsrelevant scheint zu sein, wie die Kombination verschiedener Einflüsse auf das Kind einwirken. Der Kindergarten ist als eine spielorientierte Bildungsinstitution relevant für die positive allgemeine Entwicklung von Kindern, allerdings nur dann, wenn Fachkräfte zusammen mit Eltern den Kindern positive Lernsoziotope bieten.