Gastbeitrag von Michaela Heining: Ich bin sehr stolz und freue mich sehr, diesen Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen.
Ich bin Michaela Heining und arbeite Teilzeit als Erzieherin in einer Kindertagesstätte. An meinen freien Tagen biete ich Seminare, Inhouse-Schulungen und Beratungen für pädagogische Fachkräfte und Teams an.
Durch meine Weiterbildungen zur „Fachpädagogin für Kinderschutz (IBE)“ und zur „Multiplikatorin für gewaltfreie Pädagogik“ habe ich gemerkt, wie bereichernd es ist, möglichst viele Fachkräfte zu inspirieren, zu motivieren und zu ermutigen, sich auf den Weg zu machen, hin zu einem friedvollen Umgang mit den Kindern und sich selbst.
Es ist unserer aller Aufgabe, den Kindern eine glückliche und zufriedene Kindheit zu ermöglichen.
Ernährungsbildung in der Kita – Ein Schlüssel zur ganzheitlichen Entwicklung
Gemeinsame Mahlzeiten sind weit mehr als nur Nahrungsaufnahme – und ein wesentlicher Bildungsbereich, der Kinder in ihrer Entwicklung nachhaltig beeinflusst und nehmen deshalb einen großen Stellenwert ein. Ernährung und Ernährungsbildung bieten die Möglichkeit, Werte wie Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung zu vermitteln. Dabei spielt der gewaltfreie, gefühlvolle und respektvolle Umgang mit den Kindern eine zentrale Rolle.
Wie kann nun aber Ernährungsbildung gut gelingen?
Leider – und das bekomme ich in meiner Einrichtung selbst mit und erfahre es auch auf Fortbildungen, die ich gebe – sind unter anderem genau diese Essenszeiten häufig mit enormem Stress für alle Beteiligten verbunden und einerseits mit so vielen guten, aber auch schlechten Erfahrungen in der eigenen „Essensbiografie“ der Erwachsenen, besetzt. Alle, die sich mit Anke Ballmanns Themen rund um die gewaltfreie, friedvolle Pädagogik beschäftigen wissen, dass gerade diese (unbearbeiteten) Biografien ausschlaggebend sind, wie wir den Kindern im pädagogischen Alltag begegnen.
Aber nun zurück zu Ernährungsbildung und den Essenssituationen in den Einrichtungen und der Tagespflege. In der frühkindlichen Bildung nimmt dieses Thema eine zentrale Rolle ein, die weit über die bloße Bereitstellung von Mahlzeiten hinausgeht. Als wesentlicher Bestandteil der ganzheitlichen Entwicklung von Kindern hat sie einen bedeutenden Einfluss auf ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre sozialen Kompetenzen. In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Ernährungsbildung in Kindertagesstätten und der Kindertagespflege grundlegend gewandelt.
Heute wird sie als umfassender Ansatz verstanden, der nicht nur Wissen über gesunde Ernährung vermittelt, sondern auch Selbstständigkeit fördert, soziale Fähigkeiten stärkt und kulturelles Bewusstsein schafft. So schreibt es zumindest die Literatur. Wie diese Haltung aber nun wirklich in den Einrichtungen verstanden wird, zeigen viele unbefriedigte Situationen, die mir bei meiner Arbeit mit Kitateams in Einrichtungen immer wieder begegnen.
Was aber ist nun eine wirklich kindgerechte Essenssituation? Sie zeichnet sich durch Selbstbestimmung, Eigenverantwortlichkeit und soziales Miteinander aus. Konkret bedeutet dies:
- Kinder entscheiden selbst, wann, was und wie viel sie essen möchten
- Sie decken ihren Platz selbst ein und nehmen sich eigenständig ihr Essen auf den Teller
- Das Essen beginnt, sobald das Kind Essen auf dem Teller hat, ohne auf andere warten zu müssen und es endet, sobald das Kind keinen Appetit mehr hat
- Kinder dürfen in ihrem eigenen Tempo essen
- Es besteht die Möglichkeit, neue Speisen zu probieren! Und es versteht sich von selbst, dass dies alles ohne Zwang geschieht
Wenn wir Essenssituationen kindorientiert gestalten, wenn wir ihre Bedürfnisse und Kompetenzen erkennen, fördern wir die Selbständigkeit und die Selbstwirksamkeit der Kinder und ermöglichen ihnen, einen gesunden Umgang mit Hunger- und Sättigungsgefühl zu entwickeln. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass positive Erfahrungen beim Essen ein günstiges Essverhalten fördern, das dann wiederum lebenslang beibehalten wird. Leider gilt das auch im umgekehrten Fall: Negative Erfahrungen beim Essen fördern ein ungünstiges Essverhalten, auch das kann im weiteren Lebenslauf negative Auswirkungen haben.
Für eine gesunde Beziehung zum Essen braucht es aber auch:
- Positive Erfahrungen: Mahlzeiten sollten in einer angenehmen Atmosphäre stattfinden, die Freude am Essen vermittelt
- Respekt für individuelle Bedürfnisse: Kinder sollten ermutigt, aber nie gezwungen werden, bestimmte Lebensmittel zu essen
- Aktive Beteiligung: Einbeziehung der Kinder in die Vorbereitung und Nachbereitung von Mahlzeiten fördert das Interesse an Lebensmitteln
- Vorbildfunktion: Pädagogische Fachkräfte sollten positives Essverhalten vorleben
- Kulturelle Sensibilität: Wertschätzung und Einbeziehung verschiedener Ernährungsgewohnheiten.
Die meisten Fachkräfte wissen: In der Realität bzw. im Alltag stehen Kitas und Kindertagespflegestellen vor den verschiedensten Herausforderungen.
Die pädagogischen Fachkräfte stehen unter Zeitdruck, sodass eine ruhige, bildungsorientierte Gestaltung der Mahlzeiten oft nicht möglich ist. Er entsteht z.B. durch ungünstige Pausenreglungen oder Personalausfall, sodass zu wenige Kolleg:innen während der Mahlzeiten im Raum sind. Vor allem bei einer angespannter Personalsituation ist die individuelle Begleitung der Kinder schwierig. Hinzu kommt häufig Platzmangel, der die Gestaltung der Essenssituation erschweren kann. Leider wird gerade und besonders in vielen Einrichtungen durch begrenzte finanzielle Mittel so gespart, dass sowohl die Qualität als auch die Vielfalt des Essensangebotes enorm eingeschränkt ist. Von gesundem und ausgewogenem Essen kann zumindest in Kitas nicht die Rede sein. Hinzu kommt, dass sowohl die Qualitätssicherung als auch ein angemessenes Hygienemanagement zusätzliche Ressourcen fordern, die oftmals nicht gegeben sind.
Wie und wann gelingt es uns nun, um pädagogische Fachkräfte von „Verwaltern“ der Mahlzeiten zu „Begleitern der kindlichen Essentwicklung“ zu machen? Folgende Ansätze sind dabei wichtig:
Qualifizierung:
Regelmäßige Fortbildungen zum Thema Ernährungsbildung sind essenziell.
Verankerung im pädagogischen Konzept:
Ernährungsbildung sollte als fester Bestandteil des Bildungsauftrags verstanden werden.
Teamarbeit:
Ein gemeinsames Verständnis im Team für die Bedeutung der Ernährungsbildung ist wichtig.
Ressourcenbereitstellung:
Ausreichend Zeit und Personal für die Gestaltung von Essenssituationen.
Nutzung von Leitfäden:
Der DGE-Qualitätsstandard kann als hilfreiche Orientierung dienen.
Die Initiative „Ich kann kochen!“ der Sarah Wiener Stiftung bietet beispielsweise praktische Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte an, um sie in der Umsetzung von Ernährungsbildung zu unterstützen. (s. weiterführende Links am Ende des Artikels)
Damit eine erfolgreiche Umsetzung der Ernährungsbildung im Kita-Alltag und in der Kindertagespflege gelingt, sind folgende Aspekte wichtig. Für meinen Geschmack 😉- sogar so wichtig, dass nicht nur ein Bereich oder einzelne Aspekte umgesetzt werden, sondern wirklich alle. Nur so können wir Werte wie Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung vermitteln:
Von großer Bedeutung ist die Gestaltung der Essenssituation schon an sich. Sie erfordert ein hohes Maß an Organisationstalent und pädagogischem Feingefühl. Fachkräfte stehen häufig vor der Herausforderung, unterschiedlichste Bedürfnisse und kulturelle Hintergründe unter einen Hut zu bringen. Hier gilt es, einen Raum zu schaffen, in dem sich alle Kinder wohl und respektiert fühlen. Die Kinder dürfen in einer angenehmen Atmosphäre, einer ruhigen Umgebung und ansprechender Tischdekoration selbst ihr Essen nehmen, und zwar stets auf kindgerechtem Geschirr. Auch das Besteck sollte kindgerecht sein und es darf selbstverständlich auch mit den Fingern gegessen werden. Vor allem jüngere Kinder machen da wunderbare und für ihre weitere Entwicklung wichtige Sinneserfahrungen.
Dadurch, dass die Tischregeln gemeinsam mit den Kindern erarbeitet werden, beziehen wir sie in die Gestaltung der Essenskultur mit ein. Auch in der Speiseplangestaltung dürfen die Kinder mitbestimmen. Das kann in wöchentlichen Treffen – in der Gruppe oder in der Kindertagespflege zu Hause – stattfinden oder durch regelmäßiges Durchführen von Kinderbefragungen. Durch die Partizipation der Kinder wird ein Raum geschaffen, in dem Neugier, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein gleichermaßen gefördert werden. Diese interdisziplinäre Herangehensweise stärkt nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch das soziale Miteinander und das Umweltbewusstsein der Kinder.
Ernährungsbildung gelingt dann, wenn Speisen und Mahlzeiten gemeinsam zubereitet werden, wenn wir z.B. in Form eines Gartenprojektes Gemüse und Kräuter anbauen und so das Verständnis für Lebensmittel fördern.
Die Einbeziehung der kulturellen Herkunft kann dabei eine bereichernde Rolle spielen: Unterschiedliche Esskulturen eröffnen den Kindern nicht nur neue Geschmackswelten, sondern fördern auch interkulturelles Verständnis und Toleranz.
Konflikte oder Unstimmigkeiten sollten mit einem gewaltfreien Kommunikationsansatz angegangen werden. Dies bedeutet, dass Kritik konstruktiv und respektvoll geäußert wird, um den Kindern zu zeigen, wie man auch in schwierigen Situationen empathisch und lösungsorientiert miteinander umgeht. Ein solch achtsamer Umgang fördert nicht nur die Entwicklung sozialer Kompetenzen, sondern stärkt auch das Vertrauen der Kinder in ihre pädagogischen Begleiter.
Im pädagogischen Alltag gibt es viele Möglichkeiten, weitere Bildungsanlässe zu nutzen:
Über das Probieren von Zutaten und beim Durchführen von Experimenten mit Lebensmitteln können ganz wunderbar die Sinne gefördert werden. Bei angeregten und gut begleitet Tischgesprächen sind wir bei der Sprachförderung und sogar die mathematische Bildung kommt z.B. beim Tischdecken, wo Teller, Besteck und Gläser abgezählt werden dürfen oder beim Abwiegen von Zutaten, wenn gekocht oder gebacken wird, nicht zu kurz.
Beim Kochen machen die Kinder durch das Beobachten der Veränderungen von Lebensmitteln naturwissenschaftliche Erfahrungen.
Wenn wir in den Einrichtungen und in der Kindertagespflege die Ernährungsbildung als wichtigen Baustein in der pädagogischen Arbeit betrachten, dann bedarf es auch einer guten Zusammenarbeit mit Eltern. Hier ist es wichtig, dass regelmäßig über das Ernährungskonzept der Einrichtung oder der Tagespflegestelle informiert wird. Das kann klassisch oder auch kreativ stattfinden, so können Elternabende zum Thema „gesunde Ernährung“ angeboten sowie gemeinsame Kochaktionen oder Feste mit Eltern und Kindern veranstaltet werden. Auch ein Austausch über kulturelle Essgewohnheiten und deren Integration in den Alltag kann die Ernährungssituation und den Umgang damit sehr bereichern. Die Kita „Tabaluga“ in Dresden hat beispielsweise ein umfassendes Ernährungskonzept entwickelt, das die Zusammenarbeit mit Eltern als wesentlichen Bestandteil beinhaltet. (s. Link am Ende des Beitrags)
Um die Ernährungsbildung in Kitas und Kindertagespflege kontinuierlich zu verbessern, ist eine kritische Reflexion der bestehenden Praktiken notwendig, sie kann folgendermaßen aussehen:
- Regelmäßige Evaluation der Essenssituationen und des Ernährungskonzepts
- Offenheit für neue wissenschaftliche Erkenntnisse und pädagogische Ansätze
- Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte in Form von Fort- und Weiterbildungen
- Hinterfragen von eigenen Essgewohnheiten und Glaubenssätzen
- Biografiearbeit
- Austausch mit anderen Einrichtungen über Best Practices
- Anpassung der Konzepte hinsichtlich der an sich verändernden Bedürfnisse und gesellschaftlichen Entwicklungen
Historisch gesehen hat sich das Bild vom Kind in Bezug auf Ernährung und Gesundheit stark gewandelt. Früher stand oft die Nahrungsaufnahme als reine Notwendigkeit im Vordergrund. Heute wissen wir, dass Kinder als kompetente und fühlende Persönlichkeiten betrachtet werden müssen. Dieser Paradigmenwechsel verlangt von pädagogischen Fachkräften einen reflektierten, wertschätzenden Umgang in Essenssituationen. Ernährungsbildung in Kitas und Kindertagespflege bietet enormes Potenzial für die ganzheitliche Entwicklung der Kinder. Sie erfordert jedoch ein Umdenken in der pädagogischen Praxis und die Bereitstellung notwendiger Ressourcen. Indem wir Fachkräfte stärken und die Rahmenbedingungen verbessern, können wir eine Esskultur schaffen, die Kinder in ihrer Entwicklung optimal unterstützt und ihnen eine positive, selbstbestimmte Beziehung zum Essen ermöglicht. Die Herausforderung besteht darin, die theoretischen Erkenntnisse in die tägliche Praxis umzusetzen. Dies erfordert nicht nur Engagement und Kreativität seitens der pädagogischen Fachkräfte, sondern auch die Unterstützung durch Träger, Politik und Gesellschaft. Nur so kann Ernährungsbildung in Kitas und Kindertagespflege ihr volles Potenzial entfalten und einen nachhaltigen Beitrag zur gesunden Entwicklung unserer Kinder leisten.
Quellen:
- Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). (2021). Ernährungsbildung in der Kita. https://www.bzfe.de/bildung/kita-und-schule/ernaehrungsbildung-kita/
- Methfessel, B., & Höhn, K. (2019). Essen und Ernährungsbildung in der Kita. Beltz Verlag.
- Nationales Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule (NQZ). (2022). Ernährungsbildung in der Kita. https://www.nqz.de/kita/ernaehrungsbildung
- Initiative „Ich kann kochen!“. Sarah Wiener Stiftung. https://ichkannkochen.de
- Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW. (2023). Praktische Ernährungsbildung in der Kita. https://www.kita-schulverpflegung.nrw/projekt-kita-und-schulverpflegung-nrw/praktische-ernaehrungsbildung-in-der-kita-72172
- Kita Tabaluga Dresden. (2021). Ernährungs-Konzeption Kitas. https://www.malwina-dresden.de/integrative-kindertageseinrichtung-tabaluga.html?file=files%2Fdownloads+2016%2FKita_allgemein%2FErnaehrungs-Konzeption+Kitas+-+Stand-September+2021.pdf
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